Integrierte Forschung – Rokits Gedanken zur Fachtagung in Paderborn

14. Februar 2024by Lena Fiedler

Am 31. Januar und 01. Februar hat das Cluster Integrierte Forschung  nach Paderborn eingeladen, um über die Zukunft der Gestaltung von Mensch-Technik-Verhältnissen zu diskutieren. Das rokit-Team war mit interdisziplinärer Kompetenz vertreten: Psychologe Paul Schweidler, Jurist Markus Lehnshack und Philosophen Dr. Peter Remmers sowie Lena Fiedler nahmen an der inspirierenden Konferenz teil und beteiligten sich rege. Hier ein paar Eindrücke:

Das Konzept

Es ist schwer den Überblick zu behalten, wie alles zusammenhängt. Das Cluster Integrierte Forschung setzt sich zusammen aus mehreren Teilclustern, in denen wiederum unterschiedliche Projekte laufen, an denen verschiedene Institutionen beteiligt sind. Die Konferenz in Paderborn war eine übergreifende Veranstaltung für das gesamte Cluster. Die bestehenden Teilcluster übergaben den Staffelstab an das neue, dritte, Teilcluster und präsentierten ihre bisherigen Ergebnisse.

So war es denn eher ein Familientreffen als eine große Konferenz: Man kannte sich aus Vorläufer-Projekten, hatte Paper voneinander gelesen oder war sich zumindest schon online begegnet.

Das bleibt hängen

Keynote Speaker Dr. Markus Lemmens brachte zum Auftakt Fußball ins Spiel: Wir haben in Deutschland viele tausend Trainer, die Kompetenzen sind da . Wie können wir diese Kompetenzen bündeln, um wieder zu gewinnen?

Seine Antwort löste Aufatmen bei allen Anwesenden aus: Weniger Kontrolle und mehr Vertrauen. Das hört man doch gerne. Aber der Wissenschaftsexperte hatte noch mehr Spielanweisungen im Gepäck. Vor allem forderte er, besser zu kommunizieren, und zwar in alle Richtungen: Forsche nde zu Fördergebende und umgekehrt; Forschende zu Öffentlichkeit und umgekehrt. Zum Beispiel: Citizen Science hat großes Potenzial – muss aber in das Forschungssystem eingebettet werden. Partizipation darf kein zusätzliches Sahnehäubchen sein, dem man sich nach zehn Stunden Paper schreiben widmet, sondern muss als geschätzte Forschungsleistung für sich stehen!

Orientierung

Philosoph Dr. Bruno Gransche gab einen Input für die anschließende Podiumsdiskussion. Hängen blieb der Begriff „Orientierung“, der später zum Bonmot  der der Konferenz wurde.

Durch die Digitalisierung verändert sich, was möglich ist. Das hat Auswirkungen auf unsere Lebensformen und erschüttert unseren Orientierungsrahmen. Es braucht deshalb neue Orientierungsformen, um sich in dieser schnelllebigen Welt zurecht zu finden. Aber wer sich orientieren will, der braucht Anhaltspunkte. Orientierung geht immer nur anhand von etwas – wortursprünglich anhand des Orients, dem Ort des Sonnenaufgangs. Heute brauchen wir neue Orientierungspunkte, an denen wir uns festhalten können. Philosoph Stegmeier gibt in der Podiumsdiskussion eine bittere Diagnose: „Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass wir heute mehr von Desorientierung als Orientierung reden.“

Fazit bleibt: Es braucht neue Fixsterne, Anhaltspunkte, Referenzrahmen – und hier ist die Forschung an der Forschung gefragt.

Ganz praktisch

Was das praktisch bedeutet, wurde in Workshops erörtert. Drei Jahre lang haben insgesamt sechs Projekte Methoden erarbeitet, um partizipativ neue Fixsterne an den Himmel zu pinnen. Auf der Konferenz konnten wir die erarbeiteten Konzepte testen. Ein populäres Thema dabei war der Roboter. Zwei Workshops widmeten sich dieser Zukunftstechnologie explizit.

Im ersten Workshop wurde ein Denk-Werkzeug vorgestellt, in dem es um partizipatives Design ging. Um ehrlich zu sein, haben wir uns im Workshop – ganz die Forschernatur – in Detailfragen verloren. Die Idee hinter dem Werkzeug wurde dennoch klar: Lass uns mit einem fast ethnografischen Blick auf eine neue Technologie schauen und herausarbeiten: Was stand da dahinter? Welche Werte haben sich hier vielleicht versteckt?

Im zweiten Workshop ging es um die Frage nach Recht und Ordnung. Das Problem kennen wir zur Genüge: Es gibt einerseits sehr viele Normen und Gesetze, andererseits scheint nichts wirklich für Roboter zu passen. Wie soll man sich da im Behördenjungle zurechtfinden und den Roboter Gesetzeskonform auslegen? Im Workshop wurde sich anders – Achtung, running gag – orientiert: Es stand die Frage im Raum, welche Gesetze wir brauchen, um gute Roboter zu designen. Die Teilnehmenden wurden spielerisch zu Gesetzesgebern. Der Fokus lag dabei auf Robotern in der Pflege und im Gesundheitswesen.

Schöner Rahmen, gutes Essen, überall Technik

Rahmen für die Zwei-Tages-Konferenz war das Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn. Dieses weltgrößte Computermuseum sorgte für die passende Stimmung: Eine beeindruckende Ausstellung über die Geschichte des Computers hat uns geerdet und Technik in Perspektive gerückt. Wie riesig waren Computer früher! Und wer kann heute noch ein Telefon mit Drehscheibe bedienen?!

Mit dabei war auch PETRA, der Museums-Guide-Roboter. Die mobile Roboterplattform führte durch die Ausstellung und erklärte einzelne Stücke. Allerdings war PETRA weniger beeindruckend als vielmehr ein Mahnmal dafür, was Roboter alles nicht können: PETRA wartet nicht, sie dreht sich nicht um, sie passt weder ihre Geschwindigkeit noch ihre Lautstärke an. So hetzte man ihr hinterher und verpasste allerlei spannende Exponate, zu denen sie nichts sagen konnte, um schließlich vor dem „Schachtürken“ stehen zu bleiben: Der berühmte Automat sorgte vor gut 250 Jahren weltweit für Aufsehen, weil er den Menschen im Spiel der Könige besiegte. War es das Ende der Menschheit, der Anfang der Maschinenherrschaft? Nicht ganz, denn später sollte sich herausstellen, dass nicht die Maschine, sondern ein darin versteckter Mensch Schach spielte.

Integrierte Forschung

Integrierte Forschung soll eine Leitidee für die Zukunft der Forschung sein.

Puh, geht’s nicht eine Nummer kleiner? Auf der Konferenz in Paderborn wurde es zum Glück zumindest konkreter: Es wurde viel darüber gesprochen, was schief läuft in der Forschung und es wurden Ideen präsentiert, wie wir Forschung besser machen können – während wir zugleich weiter forschen. Es gilt also, das Schiff auf hoher See mit Bordmitteln zu reparieren.

Unsere Hauptkritik – in Anlehnung an die Metapher – bleibt dabei: Was bringt es, wenn wir ein einzelnes Schiff auf hoher See fahrtüchtig machen? Was ist mit dem Rest der Flotte, die über die Weltmeere verteilt vor sich dahin dümpelt?! Übersetzt heißt das: Das Cluster Integrierte Forschung leistet fantastische Arbeit, aber im Kleinen. Wir stellen uns die große Frage: Wie kann das auf andere Forschungsprojekte übertragen werden, wie kann die Struktur generell verändert werden?

Kern der Leitidee von integrierter Forschung ist die Orientierung (das ist sie wieder) am Menschen. Das heißt, nicht nur interdisziplinär zu arbeiten, sondern auch transdisziplinär: Über die Forschungslandschaft hinaus, mit dem Menschen zusammen. Nur so, argumentiert das Cluster, können neue Technologien und der soziotechnische Wandel, den sie abverlangen, erfasst werden.

Ein Ziel, das bei uns hängen bleibt: Die Irritation von Selbstverständlichkeiten – was bisher galt muss hinterfragt werden – oder um es mit den  Worten des großen Philosophen F. Beckenbauer zu sagen: “Ich gehe davon aus, dass jetzt etwas passiert – was auch immer”.

Integrierte Forschung in rokit

Was heißt das für uns konkret, was nehmen wir aus zwei Tagen Paderborn mit, jenseits von vielen netten Gesprächen, alten und neuen Kontakten, gutem Essen und Schachtürken?

Zunächst einmal viel Bestätigung: Partizipation, inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit stehen bei uns schon auf der Tagesordnung.

Außerdem nehmen wir uns vor, positiv zu irritieren.

Und schließlich: Integrierte Forschung braucht Raum und Zeit – sie ist kein Zusatz zur „normalen“ Forschungsleistung, sondern selbst ein wertvoller Beitrag. Feldtests beispielsweise fressen unglaublich viele Kapazitäten – aber sie sind es wert! Darin hat uns die Konferenz bestätigt. Deshalb, so unser Fazit: Wir müssen uns diese Zeit nehmen – und sie auch einfordern.

Lena Fiedler

Copyright by rokit

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